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Hilde Goll

Hilde Goll
geb. Marischler (*1935 +2021) Unsere Poetin

 

Vor meinem Vaterhaus stand eine Linde, die mich schon als Kind faszinierte, vielleicht hat sie mich da schon zum Reimen beflügelt. Oft gab`s Lindenblütentee, der einfach traumhaft schmeckte. 1935 an einem Sonntag an Bartholomä erblickte ich in Swonowitz (Zvonovice) in der Wischauer Sprachinsel als Tochter des Landwirtes Johann Marischler und dessen Ehefrau Anna geb. Springer das Licht der Welt. Wie mir meine Mutter erzählte, wurde in der kleinen Kapelle vis-a-vis von meinem Elternhaus gerade eine Messe zelebriert.

 

Die Erinnerung an meine Kindheit ist mit schöner Landschaft verbunden. Den frischen Duft der im Frühjahr weißgekalkten Häuser verspüre ich noch heute in meiner Nase. Man kann es kaum glauben, aber auch Düfte können eine Erinnerung wachhalten.

 

Die Wurzel der Herkunft sitzt tief; es heißt nicht umsonst: "Sage mir wo Du herkommst, und ich sage Dir, wer Du bist!"

 

Im Sommer kamen oft Maler aus der Stadt in unser Dorf. Sie passten mich auf dem Nachhauseweg von der Schule ab, und ich musste mit meiner Schultasche Modell sitzen, was mir nicht immer gefiel, trotz der Süßigkeiten, die sie mir schenkten. Ich wäre lieber nach Hause gegangen, da konnte ich Mutter schon beim Butter stampfen, Hühner füttern und anderen Arbeiten im Haus helfen, was mir auch großen Spaß machte.

 

Im Frühjahr 1945 trafen wir uns mit den Dorfbewohnern jeden Tag abends in der kleinen Marienkapelle, um zu beten, dass der schreckliche Krieg bald ein Ende nehme. Das Ende meiner sorglosen Kindheit begann im Mai 1945, als die Russen unser Dorf besetzten und später unser ganzer Besitz (Haus, Hof, Ackerland) von den Tschechen enteignet und meine Eltern und ich zur Fronarbeit in ein tschechisches Dorf abtransportiert wurden.

 

Am schlimmsten war es für mich, dass ich in dem tschechischen Dorf Hoschtitz (Hoštice) nicht die Schule besuchen und auch nicht auf die Straße durfte, um mit den Kindern zu spielen. Wenn ich mich mal vors Haus wagte, wurde ich von den tschechischen Kindern beschimpft, mit Steinen beworfen und angespuckt, so dass ich schleunigst wieder ins Haus lief, wo ich der Bäuerin im Haus und Hof helfen und auch schon schwere Arbeiten verrichten musste. Im Sommer 1946 wurden wir ins Lager nach Brünn (Brno)gebracht und in Viehwaggons verladen. Wir fuhren über die tschechische Grenze nach Deutschland und kamen in die Artilleriekaserne nach Karlsruhe und dann ins Lager am Viehmarkt in Bretten Da durfte ich endlich wieder zur Schule; ich war überglücklich.

 

Den ersten Schultag werde ich nie vergessen. Da stand ich vor der schönen großen Schule in Bretten in Wischauer Tracht abseits von den Kindern. Ein Mädchen fasste Mut und kam auf mich zu mit den Worten: "fersch me?" (führst Du mich?). Mir ging`s in den Kopf nicht rein, was sie wohl meinte, doch plötzlich nahm sie meine Hand und führte mich und das war`s. "So leicht verständlich und herzlich isch d`badisch Sproch," die ich mit der Zeit gut beherrschte, so dass ich jetzt schon mehrere Jahre im Rundfunk selbstverfasste Gedichte in badischer Mundart vortrage.

 

In der Melanchthonstadt Bretten besuchte ich die Grundschule und dann die höhere Handelsschule mit Absolvierung der Mittleren Reife. Zu der Zeit mussten meine Eltern noch Schulgeld bezahlen. Leider war damals für mich ein Studium aus finanziellen Gründen nicht möglich. Meine weitere Ausbildung erfolgte als Sekretärin. Meinem Hobby, dem Schreiben von Gedichten und authentischen Begebenheiten, konnte ich erst in späteren Jahren folgen, da ich mit Beruf und Häusle bauen völlig ausgelastet war. Als mein Sohn in Amerika an der Universität von Kansas studierte, besuchte ich meine Freundin in New York sowie Verwandte und Bekannte, die mich durch 15 amerikanische Staaten und Kanada führten, was mich sehr stark beeindruckte. In dieser Zeit fiel mir auch die größte deutschsprachige Zeitschrift Amerikas "Das Fenster" in die Hände, die ich zum Lesen mit nach Deutschland nahm.

 

Ich schrieb ein Gedicht ("Die alte Truhe") und schickte es ab. Eines Tages kam ein Brief von einer Deutschamerikanerin aus Kalifornien, die schrieb, dass sie in jungen Jahren in den Kriegsdienst kam und als Lehrerin im Nachbarort von Swonowitz die dritte und vierte Klasse unterrichtete. Sie hatte noch das Poesiealbum mit den Namen ihrer Schulkinder. Natürlich habe ich gleich Verbindung mit ihr aufgenommen. Nach jahrelanger Brieffreundschaft besuchte mich die ehemalige Lehrerin - Gisela Reinhold - in der Melanchthonstadt Bretten. Es war, als hätten wir uns schon immer gekannt. Ich konnte eine Zusammenkunft mit einigen ihrer Schüler von damals arrangieren, die verstreut in ganz Deutschland ihre zweite Heimat fanden. Es war für alle ein bewegendes Treffen.

 

Mein weiteres Hobby ist die Mitwirkung in Fernsehfilmen als Komparsin. Es waren in den 30 Jahren der Komparserie schon viele interessante Filme und Serien, in denen ich mitwirken durfte und somit Einblick hinter die Kulissen der Filmwelt hatte. Da ergab sich manch interessantes Gespräch mit den Filmgrößen, so z. B. bei den Serien: "Oh Gott Herr Pfarrer" mit Robert Atzorn,  "Pfarrerin Lenau" mit Irene Clarin, Walter Schultheiß, Hans Clarin und "Die Fallers" mit Wolfgang Hepp, Ursula Cantieni. Auch in verschiedenen Fernsehfilmen wirkte ich mit: "Zoff & Zärtlichkeit" mit Pinkas Braun, Wolf-Dietrich Berg, Klaus Höhne, Helmut Zierl, Christina Plathe , "Rosenzweig`s Freiheit" mit den Schauspielern Benjamin Sadler, Monika Bleibtreu, Peter Roggisch, Felix von Manteuffel, dem Wiener Burgschauspieler Christoph Gareißen und "Rachegöttin" mit Lola Müthel der Grande Dame des Theaters, die eine Schauspielerin spielte, die für eine Erbschaft zur Rachegöttin wird. Hinzu kamen etliche Tatortfilme, u. a. auch mit Ulrike Folkerts / Andreas Hoppe, usw.… 

 

Im Jahr 2000 erschien mein Buch "Von der Kornkammer Mährens ins Kraichgauer Hügelland", in dem sich viel Autobiografisches befindet. Daneben habe ich auch zahlreiche authentische Erlebnisse verfasst, z.B. Gedichte in Schriftdeutsch, badischer und auch Wischauer Mundart, die in Zeitungen, Zeitschriften und im Wischauer Heimatboten erschienen sind. Gedichtvorträge bei Veranstaltungen und im Rundfunk folgten, ebenso Lesungen und Vorträge über heimatliche Bräuche. Seit 20 Jahren trage ich selbstverfasste Gedichte bei der Eröffnung des Brettener Weinfestes und Weihnachtsmarktes durch den Brettener Oberbürgermeister auf dem Marktplatz vor.

 

Oft war ich auch Trägerin der Wischauer Tracht bei Repräsentationen, z.B. bei Trachtenumzügen oder beim Tag der Heimat in Karlsruhe mit Gedichtvortrag. Der ehemalige Außenminister Dr. Kinkel ließ mir ein Schreiben zukommen, in dem er sich für meinen Weihnachtswunsch mit den Worten bedankte: "Über Ihren selbstverfassten Weihnachtswunsch, dem ich nur zustimmen kann, habe ich mich sehr gefreut." was auch mich sehr freute. Freude bereitete mir auch die aktive Mitgestaltung der Ausstellung "Neue Heimat – Alte Heimat" (nach 60 Jahren Vertreibung), die vom 11.Mai 06 – 29. Okt. 06 in Bretten im Museum Schweizer Hof stattfindet. Bei der Eröffnung konnte ich ein selbstverfasstes Gedicht vortragen. Im August 2006 ist eine Lesung aus meinem Buch "Von der Kornkammer Mährens zum Kraichgauer Hügelland" geplant. Wir Wischauer sind ein aktives Volk, Müßiggang ist bei uns nicht drin.

 

(Hilde Goll, 2006)